Hinduismus als Weltreligion

Einführung in den Hinduismus


Der Hinduismus mit seinen ca. 900 Mio. Anhängern weltweit ist nach Christentum (2,1 Mrd. Anhänger) und Islam (1,5 Mrd. Anhänger) die drittgrößte Weltreligion. Das Ursprungsland Indien ist mit heute 1,1 Mrd. Einwohnern eines der bevölkerungsreichsten Länder der Erde.

 

Längst ist der Hinduismus nicht mehr auf Indien beschränkt. Nachdem er sich schon früh auf das heutige Indonesien (z.B. Bali) ausgedehnt hatte, verbreitete er sich durch den Einfluss der britischen Kolonisierung nach Afrika, in die Karibik und nach Suriname. Nach der Unabhängigkeit der Kolonien wanderten Hindus in die Niederlande, nach England und in die USA aus. In Deutschland haben wir einen bedeutenden Zustrom von Tamilen aus Sri Lanka, die unter den Hindus hier zu Lande die Mehrheit darstellen. Andere Gruppierungen in Deutschland sind bengalische Gemeinden und indisch-stämmige Flüchtlinge aus Afghanistan, die hier vor den Kriegswirren im Heimatland Zuflucht fanden. Schließlich lebt hier noch eine Anzahl zum Hinduismus konvertierter Deutscher. Insgesamt wohnen in Deutschland zurzeit ca. 95.000 Hindus, in Hamburg ca. 7.000.

 

Alle Hindus glauben an die Existenz eines transzendentalen Schöpfergottes. Der Hinduismus kann mit einer detaillierten Schöpfungsgeschichte, der Darstellung verschiedener Erdzeitalter und einer zyklischen Zeitrechnung aufwarten und ist damit in der Lage, den Bogen zwischen christlichem Kreationismus und der Evolutionstheorie zu spannen. In ihm findet sich archaisches Wissen der Menschheit wieder, das wichtiger Bestandteil der Religionen Afrikas, Amerikas und Australiens war und im Laufe der europäischen Eroberungszüge in Bedeutungslosigkeit und Vergessenheit geraten ist. All dieses Wissen wird in einem theistischen Zusammenhang präsentiert und ist heute so intakt wie vor Jahrtausenden.

 

Wie jede Hochreligion, beweist sich der Hinduismus durch seine Anwendbarkeit im täglichen Leben. Es finden sich in den heiligen Schriften Empfehlungen für jede Lebenslage, und der Hindu ist aufgefordert, sein Dasein in Beziehung zu Gott zu leben. Tatsächlich können unzählige Menschen bezeugen, dass die Praxis dieser Religion sie an ihr Lebensziel gebracht hat.

 

Das Wort „Hinduismus“ geht auf die Perser um 400 v. Chr. zurück und ist ein Sammelbegriff für die Kulturen jenseits des Flusses Indus. Die Anhänger dieser Religion selbst bevorzugen im Allgemeinen den Ausdruck „Sanatan Dharma“ („die Ewige Religion“) und meinen damit den Glauben an universale und unvergängliche Wahrheiten, die in den Vedischen Schriften niedergelegt sind. Daher hat die Tradition keinen klar zu definierenden Anfang, obwohl Gelehrte diesen auf eine Zeit vor mehr als 5.000 Jahre datieren, als die vedischen Schriften niedergeschrieben wurden.

 

1. Schlüsselkonzepte

Trotz der Vielfalt der Traditionen mit ihren jeweiligen Begründern existiert eine Anzahl philosophischer Konzepte, die weithin akzeptiert und gewöhnlich in Traditionsfolgen von spirituellen Lehrern (gurus) herabgereicht werden. Die hauptsächlichen Konzepte sind diese:

 

atman: das wirkliche, ewige Selbst (die Seele), welches sich von Körper und Geist/Verstand unterscheidet.

 

brahman: spiritueller Geist oder der/das Höchste (Gott)

 

deva: Halbgott, einer der Aufseher über die materielle Welt

 

dharma: Pflicht oder Einhaltung natürlicher Gesetze

 

karma: das universale Gesetz der Aktion und Reaktion

 

maya: Illusion, durch welche die ewige Seele sich mit zeitweiliger Materie identifiziert

 

samsara: der ewige Kreislauf von Geburt und Tod, die Wanderung der Seele von einem Körper zum nächsten

 

moksha: Befreiung aus dem samsara durch Vereinigung mit Gott

 

2. Die vedischen Schriften

Der Sanskrit-Ausdruck „Veda“ bedeutet „Wissen“. Die Tradition besagt, dass die vedische Weisheit vor dem gegenwärtigen Zeitalter (Kali yuga) mündlich überliefert wurde. Vor fünftausend Jahren stellte sie der Weise Vyasa unter zwei umfassenden Kategorien zu den vedischen Schriften zusammen: die schruti (was gehört wurde) und die smriti (was erinnert wurde).

 

Die schruti besteht aus den vier Veden und den Upanishaden. Die smriti beinhaltet die Puranas (geschichtliche Erzählungen), das Ramayana (das Epos von Sita und Rama) und das Mahabharata, zu welchem die bekannte Bhagavad-gita gehört.

 

3. Gottesvorstellungen: Gott und die Götter

Trotz der Akzeptanz einer Vielzahl höherer Wesen glauben die meisten Hindus, dass Gott eins ist, entweder als alldurchdringende Weltenseele oder als höchste Person. Wie auch immer man sich den Höchsten vorstellt, er wird in mannigfaltigen Gestalten verehrt, von denen drei besonders wichtig sind, nämlich Vishnu, Shiva und Shakti (die Göttin). Rama und Krishna z.B. sind zwei Inkarnationen (avatars) von Vishnu.

 

Anhänger der abrahamitischen Religionen stolpern häufig über die große Anzahl von Formen Gottes, die sie im Hinduismus antreffen. Jedoch verkünden auch die vedischen Schriften, dass es nur einen Gott gibt:

 

nityo nityānām cetanaś cetanānām
eko bahūnām yo vidadhāti kāmān
tam ātma-stham ye 'nupaśyanti dhīrās
tesām śāntih śāśvatī netaresām


„Unter allen Lebewesen, den bedingten und befreiten, gibt es eine Höchste Persönlichkeit, die alle anderen erhält und ihnen je nach ihren Tätigkeiten die verschiedensten Möglichkeiten zum Genuss zur Verfügung stellt. Diese Höchste Persönlichkeit Gottes befindet sich als Überseele im Herzen eines jeden. Nur ein weiser Mensch, der Ihn versteht, ist geeignet, vollkommenen Frieden zu erlangen.“ - (Katha Upanisad 2.2.13)

 

Gott ist der Herr aller Lebewesen. Je nach ihrer persönlichen Entwicklung werden sie mit unterschiedlichen Aufgaben betraut. Als Folge frommer Taten wird ihnen Einfluss, Verantwortung, Wohlstand, Schönheit und Weisheit übertragen. Laut vedischer Anschauung ist der Mensch zwar das am höchsten entwickelte Lebewesen auf dieser Erde, nicht aber in der gesamten Schöpfung. Andere Persönlichkeiten sind bewusstseinsmäßig noch weiter entwickelt und wohnen in nicht-irdischen Körpern auf den verschiedenen Planeten. Von dort aus üben sie mittels der ihnen zugeteilten Kräfte einen besonderen Einfluss in der Verwaltung des Kosmos aus. So herrschen sie über das Wetter, die Ozeane, das Feuer, Gesundheit, Wohlstand, Eheglück, Musik, Bildung usw., und können auf Grund ihrer einflussreichen Stellung Segnungen und Belehrungen austeilen. Diese Lebewesen, devas („Halbgötter“) genannt, werden von vielen Hindus verehrt, wenn sie sich Vorteile erhoffen. Von ihnen gibt es zahllose Abbildungen und Statuen nach den Beschreibungen der Schriften.

 

Letztendlich aber weiß jeder Hindu, dass es nur einen ursprünglichen, höchsten Gott gibt, der auch die Halbgötter mit dem versorgt, was sie unter Umständen an ihre Verehrer weiterleiten. Sie bezeichnen Ihn je nach Tradition als Brahman, Shakti, Shiva oder Vishnu. Die Schriften sind voller Beschreibungen über Sein (oder Ihr) Aussehen, und so findet man in den zahlreichen Tempeln heilige Statuen, die zeremoniell von geschulten Priestern verehrt werden. Die Gemeinde bringt diesen Statuen Dienste und Gaben dar und kann dadurch eine anschauliche Beziehung zur Transzendenz entwickeln. Andere Wege der Verehrung des einen Gottes sind Meditation, Gebete sowie Mantren und Yoga.

 

Auch im Hinduismus gibt es viele Traditionen, die empfehlen, selbst für die Erfüllung materieller Wünsche den Höchsten einen Gott zu verehren. Das wichtigste Ziel für Hindus ist jedoch nicht die Erfüllung materieller Wünsche, die das Lebewesen an den unendlichen Kreislauf von Geburt und Tod bindet, sondern das Erreichen von moksha, Erlösung oder Befreiung von Geburt und Tod. Diesen Wunsch kann nur der Höchste transzendentale Gott gewähren, der deshalb auch den Namen Mukunda trägt.

 

4. Gottesdienst

Der Gottesdienst findet regelmäßig sowohl zu Hause als auch im Tempel statt. Gewöhnlich haben Familien einen einer bestimmten Gottheit geweihten Hausaltar in einem für puja (Gottesdienst) vorgesehenen Bereich. Die Hingabe konzentriert sich dabei gewöhnlich auf heilige Standbilder (murtis), ganz besonders in den Tempeln, und die beliebteste Feier ist die arti-Zeremonie, bei der die jeweilige Gottheit zeremoniell begrüßt wird.

 

Andere Formen der gemeinschaftlichen Verehrung sind bhajan (religiöse Lieder), havan (die Feuerzeremonie) und pravachan (religiöse Vorträge). Zu bestimmten Anlässen fastet der Hindu, meditiert und verschafft sich den darshan (die Audienz) einer Gottheit oder eines Heiligen.

 

5. Hindus außerhalb Indiens

Im Wandel der Generationen ändern sich soziale und religiöse Gebräuche schnell, und dennoch behält die Hindu-Gemeinde ihr überliefertes Erbe bei, während sie dessen Prinzipien auf das Leben der Moderne anwendet. Der Kern des Hinduismus ist die Ausrichtung auf die Transzendenz; alles andere lässt sich Zeit, Ort und Umständen entsprechend anpassen.